Das Leben eines Unbelehrbaren

Statt einer Ausstellung zu meinem 80. Geburtstag in Wien.

Aus bestimmten Gründen werde ich meine frühe Lebensgeschichte schildern. Als Sohn eines einflußreichen Sozialdemokraten der ersten Republik wäre mir nach 1945 der Weg offengestanden eine Karriere als Künstler zu machen. Obwohl mir versichert wurde "Ohne Partei bist Du nichts und wirst es zu nichts bringen" blieb ich meiner idealistischen Überzeugung treu, durch außergewöhnliche Leistungen mich doch durchsetzen zu können. - Eine Vorstellung die sich als naive Illusion erwies und von mir und meiner Familie große Opfer forderte.

Mein Vater stammte aus einer angesehenen Lehrerfamilie, zahlenmäßig möglicherweise der größten in der Steiermark. Sein Vater war Schulleiter und als Organist an der Wallfahrtskirche am Weizberg tätig, mit einem päpstlichen Orden ausgezeichnet. Obwohl mein Vater eine streng religiöse Erziehung genoß, hat er sich sehr früh mit sozialen Problemen beschäftigt und trat als Junglehrer der Sozialdemokratischen Partei bei. Schon als Dreijähriger erlebte ich die erste politische Auseinandersetzung in Pölfing-Brunn, einer kleinen Arbeitersiedlung des Bergbaues, in der Weststeiermark. Einmal, um Mitternacht belagerten Heimwehrleute das Schulgebäude und wollten den Sozialistischen Lehrer verprügeln. Mein Vater alarmierte mit einem Horn die Entlastung. Später übersiedelten wir nach Knittelfeld, wo er als Direktor eine Volksschule leitete, Ortsschulrat und Obmann der Kinderfreunde war. Es herrschte damals große Not unter der Bevölkerung und oftmals waren junge Wiener Arbeitslose zum Mittagessen eingeladen, welche in den Arbeitersiedlungen um Almosen sangen und musizierten.

Im Jahre 1934 wurde nach dem Februarputsch mein Vater mit 6 Kindern, die Mutter starb 1924, fristlos entlassen und hätte nach Pusterwald in einen Graben bei Zeltweg, strafversetzt werden sollen. Zum Glück protestierten die heimischen Bauern und verwehrten dem Roten Lehrer den Zutritt ins Dorf. Schließlich kamen wir nach Traboch - Timmersdorf ob St.Michael im Liesingtal. Durch Demütigungen und schwierige Familienverhältnisse starb mein Vater, 46-jährig, an Herzversagen. 1936 trat ich in die Bildhauerklasse der Kunstgewerbeschule in Graz ein und als ehemaliger Roter Falke wurde ich in die Jugendbewegung der Vaterländischen Front und anschließend der Hitlerjugend zwangsweise eingegliedert. Nach Abschluß der Kunstgewerbeschule wurde ich zum Arbeitsdienst, bald darauf zum Militär nach Admont, zu den Gebirgsjägern, einberufen. Zur Fronteinheit stieß ich nach der Kesselschlacht von Kiew, wo ich das Elend von hunderttausenden Kriegsgefangenen sah. In Kiew fand ich in einer zerstörten Bibliothek einen Bildband von Ernst Barlach, den ich in mein Sturmgepäck aufnahm, welcher mich später zu expressiven Zeichnungen inspirierte. Durch einen Tausendguldenschuß, an der rechten Hand, blieb mir die Einkesselung von Stalingrad erspart. Nach Lazarett und Ersatztruppenteil, wo ich meine Kriegseindrücke künstlerisch verarbeiten konnte, kam ich als Frontuntauglicher zur Heeresstreife nach Wien. Der Politkommissar Leutnant Hanslik, welcher die Befreiungskämpfer von Wien mit Major Biedermann am Floridsdorfer Spitz hängen ließ, hatte auch mich als Gegner des NS - Regimes aufgespürt und umgehend die Versetzung in eine Strafkompanie an die Ostfront veranlaßt. Einem Himmenfahrtskommando zugeteilt, wurden wir von einem 28-jährigen bayrischen Ritterkreuzträger, im Nacken seine Pistole, gegen russische Panzer getrieben. Dem sicheren Tod entging ich durch den Abschuß eines T34 aus nächster Entfernung, wurde verwundet und entkam der Gefahrenzone.

Diese Erfahrung und Erlebnisse eines 24-Jährigen hätten eigentlich genügen müssen mich eines Klügeren zu belehren. Meiner Vergangenheit und dem Zeitgeist entsprechend, hätte ich nach 1945 der Sozialdemokratischen Partei beitreten müssen, um als erfolgreicher Künstler gelten zu dürfen. Statt dessen wurde ich ein Leben lang ausgegrenzt und hatte mit beträchtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Weil wir in einer schändlichen mafiosen Kunstdiktatur leben, in der ausschließlich abstrakte und gegenstandslose Modekünstler das Sagen haben, ist es nicht verwunderlich, daß ich durch meine Arbeit den Weg der Unterdrückung und Demütigung habe gehen müssen. Als Parteigünstling wäre ich Hochschulprofessor an der Akademie geworden, mit allen entsprechenden Begünstigungen ausgestattet. Ich wäre nicht gezwungen gewesen, die Schmach auf mich zu nehmen, mittels eines Bittgesuches mich an den ehemaligen Bundeskanzler Dr.Josef Klaus zu wenden, welcher eine monatliche Unterstützung von zweitausend Schillingen veranlaßte, die jedoch beim Machtwechsel durch die Sozialisten sofort eingestellt wurde. Mein Gesundheitszustand verschlechterte sich. Als angesehener Maler der Gesellschaft hätte ich den Großteil meiner besten Arbeiten nicht verschleudern müssen und würde heute für meine Gemälde das 5- bis 10-fache an Honoraren erhalten, ein Betrag welchen den Staatskünstlern zugestanden wird.

Als Wahrheitsfanatiker und als Mensch der die Ungerechtigkeit nicht ertragen kann, setzte ich mich zur Wehr. Es folgten Prozesse, bei denen ich mich nicht entsprechend verteidigen konnte, mußte Geldstrafen, Erpressungen und Diebstähle von Bildern in Kauf nehmen. Ohne meiner Frau, welche als Malerin vor 30 Jahren erblindete, hätte ich den Weg als Künstler nicht gehen können. Vergeblich habe ich versucht, durch 2 Ausstellungen in Paris, welche mir beachtliche Rezensionen eintrugen, meine Position zu verbessern. Von berufener Stelle wurde mir jedoch versichert, daß ich als Österreicher nach dem II.Weltkrieg in Paris keine Chance hätte. Trotzdem riet mir die berühmte Galeristin Katia Granoff, mit meinem Können unbedingt in Paris zu bleiben, denn Wien, so sagte sie wörtlich, sei der ferne Osten, wo man von Malerei nichts verstünde.- Eine Feststellung die sich für mich voll bestätigte.

Ein erfreulicher Lichtblick war in den 70er-Jahren der Kunsthändler Dr.Otto Kallir, der erfolgreiche Ausstellungen in New York und auch in Los Angeles für mich organisieren konnte. Dem Ehepaar Dr.Bernhard und Dr.Elisabeth Hainz, die meiner Kunst aufrichtige Schätzung entgegenbringen und mir menschlich zugetan sind, muß ich für vieles recht herzlich danken. Sie allein haben sich die Mühe genommen, durch eine repräsentative Ausstellung in Graz im Frühjahr 2002, angeregt von Frau Landeshauptmann Waltraud Klasnic, und mit einem umfangreichen Bildband mein Werk zu würdigen. Ihre bewundernswerte Selbstlosigkeit vermittelt den Eindruck, daß sie bemüht sind einer höheren Kulturaufgabe zu dienen, indem sie an der Förderung der schöpferischen Kunst aktiv teilnehmen.

Karl Stark

Wien, November 2001


Es kommt nur darauf an, daß man wieder den Mut hat, einige Zeit als unfortschrittlich zu gelten, bei sich selber zu bleiben, den Respekt vor der Natur wieder zu haben.

Albin Egger-Lienz

Im Zusammenhang mit der bevorstehenden Eröffnung des Leopold Museum möchte ich auf die außerordentliche Bedeutung der Malerei von Albin Egger-Lienz hinweisen, weil diese Sammlung eine große Anzahl seiner besten Werke besitzt.

Nach dem Kriege stand man seiner Arbeit selbst in der engeren Heimat verständnislos gegenüber und sie war "nicht gefragt". In Wien hatte der Maler seit jeher einen schweren Stand und wurde auch als "Pappendeckel-Egger" abgetan. Als der ehemalige Landeshauptmann von Tirol, Eduard Wallnöfer, nur Max Weiler als seinen Lieblingsmaler hervorhob und keine Silbe für Egger-Lienz übrig hatte, sah ich mich veranlaßt in meinen "Beiträgen zur kulturellen Erneuerung", Bericht Nr.11, 1968, eine Lanze für den Künstler zu brechen, um der beschämenden Disqualifizierung ein Ende zu setzen. Unentschuldbar für das Land Tirol bleibt auch die Tatsache, daß man Egger-Lienz zu seinem 100. Geburtstag, im Jahre 1968, mit keiner repräsentativen Ausstellung zu würdigen verstand, da seine Witwe noch lebte, welche für ihren Mann manches Opfer brachte.

Meine Neubewertung Eggers wurde von einigen Kunstexperten aufmerksam verfolgt und auch von Kristian Sotriffer, im Bildband über Egger-Lienz, Edition Tusch, 1983, auf Seite 6 festgehalten:

"Der in Wien lebende Maler Karl Stark, ein von der Schule Herbert Boeckl geprägter Künstler, äußerte neuerdings, daß er Egger-Lienz nicht nur für einen der bedeutendsten österreichischen Künstler in diesem Jahrhundert hält, sondern in ihm in gewisser Hinsicht den geistig am weitest entwickelten sehe. Stark geht so weit eine Zeit zu prophezeien, wo man die Spätwerke dieses Künstlers über jene Kokoschkas und Schieles stellen wird. Für ihn ist er ein "Anton Bruckner" der Malerei, wobei wieder unentschieden bleibt (Sotriffer) ob dem Ansehen EL damit wirklich gedient ist."

Nun sehe ich die Zeit für gekommen, meine geäußerte Überzeugung im Angesicht der Bilder Eggers zu begründen. Ich möchte hervorheben, (weil in unserer Zeit darüber keine Klarheit herrscht), daß sich die Malerei sowohl in der Vergangenheit als auch in Zukunft ausschließlich auf zwei Säulen stützt: die der Form und die der Farbe. Diesen beiden Faktoren müssen wir unsere besondere Aufmerksamkeit schenken, denn die revolutionäre Kunstbewegung des 20.Jahrhunderts, Fauvismus, Expressionismus, Kubismus usw., wurden hauptsächlich von der Farbe her bestimmt. Vincent Van Gogh war der Maler im farbigen Bereich, der am weitesten vorpreschte. Die nachfolgenden Künstler ergaben sich emotional rauschhaften Farborgien. Es wurde jedoch bald sichtbar, daß diese leidenschaftliche Kunst, wie im Impressionismus, den inneren Halt verlor.

In diesen Zusammenhang ist auf Albin Egger-Lienz hinzuweisen, der von der anderen Seite, der Form her, zu erforschen ist. Egger war ein Ausläufer der Historienmalerei, noch der optischen Erscheinung stark verpflichtet und aus dieser Sicht hat er den Boden unter den Füßen nie verloren. Egger stellt ein wesentliches Bindeglied zur Modernen Malerei dar. Seine Entwicklungsgeschichte ist einzigartig und organisch folgerichtig. Wenn man sein Frühwerk als naturalistisch bezeichnen möchte so bildet sich jedoch auch seine Idee zur umfassenden Formgestaltung immer stärker heraus. Die Monumentalität der Form war sein besonderes Anliegen. Wie kaum bei einem zweiten ist das Prinzip der "Verwandlung" so klar und offensichtlich wie bei EL. Vom Naturalismus ausgehend gestaltete er den Gegenstand immer stärker zur plastischen Form. Ein wesentlicher Schritt wurde vollzogen, als er die plastische Form in körperhafte farbige Substanz verwandelte. In diesem Stadium zeigt sich seine große malerische Fähigkeit. Durch seinen Gedankenreichtum, basierend auf einer tief religiösen Veranlagung, geriet er in eine geradezu mystische Phase in der ihm die "außerweltliche Insichgekehrtheit" zum bewußten Erlebnis wurde. Paul Cézanne bezeichnete diesen Schritt als "Das nach außen gekehrte Geheimnis". Dieser Seelenzustand, der den Menschen erst zum ethisch - moralischen Vorbild erhebt findet in dem Frauenkopf der "Auferstehung", rechts oben, seinen stärksten Ausdruck. In dieser letzten Stufe nähert sich Egger dem Spätwerk Rembrandts.

Obwohl EL der revolutionären und vorherrschenden Farbentwicklung immer mißtrauisch gegenüber stand, kam er doch am Ende seines Lebens zur geistigen Erkenntnis "Farbe ist Licht". Der Maler wurde zu früh aus den Leben gerissen. Wenn ich vor Jahren geschrieben habe, daß ich A.Egger-Lienz in gewisser Hinsicht als den "geistig am weitest entwickelten sehe", so habe ich die Moderne mit Pablo Picasso einbezogen. Egger-Lienz hatte Einsicht in die geistige Welt, indem ihm seelische Vorgänge zum bewußten inneren Besitz wurden. Nach meiner Erkenntnis - wären EL noch 10 oder 20 Jahre beschieden gewesen - hätte er eine Vollkommenheitsstufe erreicht, die ihn wahrscheinlich zum größten Künstler des 20. Jahrhunderts erhoben hätte. In diesen vermutlichen Lebensjahren hätte EL auch noch Vincent Van Gogh aufgenommen demgegenüber er sich bis dahin reserviert zeigte. In diesem letzten Abschnitt hätte sich seine farbige Welt in lichthafte Wesen - von reinem Gelb, Rot, Grün und Blau dynamisch verwandelt, in einer Weise, in der die Monumentalität der Form mit der Monumentalität der Farbe zu höchstem Einklang verschmolzen wäre.

Albin Egger-Lienz können wir nur bewundern, durch sein Streben nach Monumentalität der Form hat er uns die Vision von der Vollkommenheit der Farbe - das Hineinleben in die Weltenseele - die noch nicht geschaffen wurde und den kommenden Generationen vorbehalten bleibt - vermittelt.

Karl Stark

Wien, September 2001


Seit dem Anfang meiner künstlerischen Tätigkeit fühlte ich mich der Malerei von Paul Cézanne besonders verbunden und im Verlauf der persönlichen Entwicklungsgeschichte ergaben sich zahlreiche Parallelen mit den Meister von Aix. Meine kunsttheoretische Überzeugung, die ich schon in den Sechzigerjahren als "Beitrag zur kulturellen Erneuerung" formulierte, war mir deshalb eine Herzensangelegenheit, weil ich darin die einzige Möglichkeit sah, mich mit den Kunstproblemen der Zeit kritisch auseinander zusetzen. Auch Cézanne hatte seine "Steckenpferde", indem er durch Briefe und Gespräche mit Künstlern und Freunden seine Botschaften der Welt vermitteln konnte. Während seiner Lebenszeit blieben sie unbeachtet und unverstanden, dies war der Grund seiner grenzenlosen Verbitterung.

Die Kunstsituation im Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert, ist jener vom 20. ins 21. Jahrhundert im Prinzip ähnlich, weil damals wie heute neue Grundlagen für die Entwicklung der Malerei geschaffen wurden und werden müssen. Ohne einer klaren verständnisvollen Kunsttheorie ist eine dauerhafte, organisch-wachsende Malerei nicht möglich. Durch Cézanne gewann die Moderne vor 100 Jahren ein stabiles Fundament in Form und Farbe. Der verhängnisvolle Denkfehler wurde nach Kriegsende 1945, durch die junge Künstlergeneration der Gegenstandslosen eingeleitet, indem die unumstößliche Forderung Cézannes, sich nach der Natur zu halten, über Bord geworfen wurde. Weder den Avantgardisten noch den Fachexperten wurde bewußt, warum sein Auftrag bedingungslos einzuhalten sei. Zu diesem Zeitpunkt, im Jahre 1945, trennten sich die Wege. Einerseits entwickelte sich der Neubeginn der Avantgarde, welcher vom Staat bevorzugt gefördert wurde, aber letztlich zur belanglosen und großflächigen Dekorationen abgeglitten ist. Auf der anderen Seite gab es kaum Maler die den Mut und die Kraft hatten einen selbstständigen und ehrlichen Weg zu gehen. Nachträglich könnte man festhalten, daß ich damals wie ein Fels in der Brandung stand, weil ich bewußt gegen den Zeitstrom schwamm. Immerhin habe ich die Anerkennung und Bewunderung aller Akademieprofessoren, Gütersloh, Dobrowsky, Pauser, Andersen, Elsner, Martin, einschließlich Boeckl für mich gewonnen. Als Einzelgänger, nach jahrzehntelanger Ausgrenzung, habe ich heute, am Ende meines Lebens, das hoffnungsvolle Gefühl, daß langsam das Verständnis für meine Arbeit wächst und sich in der Gesellschaft durchsetzt.

Aus kunsttheoretischer Betrachtung konnte ich durch geisteswissenschaftliche Erkenntnisse die Errungenschaften von Paul Cézanne erweitern und vertiefen. Allein durch das Studium der Natur wird im Maler die Empfindungsseele, der Empfindungsleib gebildet. Der Laie beurteilt ein Bild nach seinen Gefühl, der Künstler muß sein Gefühl mittels der Form sichtbar machen. Dieser Denkprozeß wird erweitert, wenn wir uns über die Formgestaltung eine sachbezogene Vorstellung bilden. Hier beginnt das Geheimnis der schöpferischen Kräfte, das Wirken der übersinnlichen Wesenheiten, im Seelischen und Geistigen. Das bewußte Denken bestimmt die Form, in der Farbe zeigt sich das Seelenleben. Durch die bewußte Formbildung wird die gestaltete Farbe zur Substanz. In der zeitgenössischen Kunst wird auf diese innere Formbildung verzichtet, die geistigen Zusammenhänge aufgelöst. Nach den Schüttbildern gibt es keine sinnvolle Weiterentwicklung der Malerei.

Die Grundlagen für die sinnvolle Fortsetzung der Kunst ins neue Jahrhundert, bzw. Jahrtausend, wurde in Österreich schon von Albin Egger-Lienz, in Deutschland von Lovis Corinth, geschaffen. Ihre künstlerischen Anfänge waren im Verhältnis zu anderen Expressionisten nicht revolutionär. Durch ihr Festhalten an der bewußten Form erarbeiteten sie sich ein eindrucksvolles Spätwerk, welches von Oskar Kokoschka oder Ernst Ludwig Kirchner nicht erreicht wurde. Auch hier ergibt sich ein Paralellismus zu Paul Cézanne, der das Formbewußtsein festigte, im Gegensatz zur Formauflösung durch den Impressionismus. Heute, nach 100 Jahren, ist eine neuerliche Formauflösung im Gange, die scheinbar gar nicht wahrgenommen wird, aus reiner Gedankenlosigkeit und Unwissenheit, weil man nicht weiß wohin der Weg gehen soll. Wie damals Cézanne trete ich heute auch entschieden in Wort und Bild für die Formbildung ein, denn mein ganzes Lebenswerk wurde von dieser Aufgabe geprägt und stellt einen Teil der Basis für die Weiterentwicklung der Klassischen Österreichischen Malerei dar. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die weitere Malerei nur durch die gebundene Form gewährleistet ist und daher meine Arbeit in Zukunft an Ansehen gewinnen wird. Es ist ja nur eine Frage der Zeit, wann auch andere die Überzeugung des Sammlers Rudolf Leopold teilen, daß meine Arbeit die Bedeutendste des Landes ist, weil die ethischen und moralischen Werte der Kunst wieder in den Vordergrund gestellt werden müssen.

Trotz der isolierten Sonderstellung meiner künstlerischen Grundsätze ist die Aussage "Ich und die Anderen" genauso berechtigt wie jene vor 100 Jahren durch Paul Cézanne. Es ist mein Wunsch, vor der Gedächtnisausstellung zum 80. Geburtstag Nov. 2001 in Graz, veranlaßt durch Frau Landeshauptmann Waltraud Klasnic, meinen dramatischen Entwicklungsweg seit 1945, in weiteren Folgen darzustellen, weil meine Arbeit von Österreichs Kunstexperten noch ausgegrenzt wird. Der Durchbruch meiner Malerei kann trotz ausgeklügelter Widerstände nicht verhindert werden und wird die Grundlage zu einem historischen Umdenken in Bezug auf die Fortsetzung der österreichischen Klassischen Malerei bilden. Dem gebildeten Kunstkenner ist längst bewußt geworden, daß der modische Avantgardismus zur Sinnlosigkeit geführt hat, wie die Nazikunst, nur ins andere Extrem. Die Malerei hat durch die bewußte Formbildung wieder festen Boden unter den Füßen zu gewinnen, um die Hoffnungslosigkeit zu beenden.

Karl Stark

Wien, Jänner 2001


Es ist kein Geheimnis, daß in unserem Lande ein hochbegabter Künstler erst nach 20 oder 30 Jahren seines Ablebens die gebührende Anerkennung findet. Diese traurige Tatsache hat vielerlei Gründe, nicht zuletzt sind es die fachliche Unkenntnis der Verantwortlichen. Nur ein Beispiel: Hans Böhler (1884-1961), der zu den bedeutendsten österreichischen Klassikern des 20.Jahrhunderts zählt, wurde in Wien mit keiner Kollektivausstellung in einem Museum gewürdigt. Gleiches gilt für Alfons Walde (1891-1958). Es gibt Kunstkenner die nicht bezweifeln, daß auch meine Malerei ein typisches Opfer verfehlter, offizieller Kunstpolitik ist. In unserem naturwissenschaftlichen Zeitalter wird auch die Kunst allein vom Intellekt bestimmt, ein Umstand der die verrücktesten Kunstausübungen zur Folge hat. Nur derjenige wird ein fehlerfreies Urteil über Malerei ausüben können, der bewußte Beobachtungen im seelischen Bereich vornehmen kann. Der Aufbruch der Moderne, am Anfang des vorigen Jahrhunderts (Fauvismus und Expressionismus), wurde ausschließlich von jungen Malern aus der Empfindungsseele (dem niederen Glied seelischer Entwicklung) hervorgebracht. Ab der Lebensmitte, etwa dem 36. Lebensjahre gerieten die meisten Künstler in eine Schaffenskrise, weil sie die nächst höhere Phase, die Verstandesseele oder Gemütsseele, nicht mehr bewältigen konnten. In der Empfindungsseele lebt der Mensch triebhaft, eruptiv, leidenschaftlich, aber unkontrolliert. Die Verstandesseele entwickelt das konstruktive Denken. Darin liegt die Bedeutung von Paul Cézanne. Die höchste Stufe seelischer Entwicklung erreicht der Künstler durch die Bewußtseinsseele, in der der Mensch eine geistige Einheit mit der Welt anstrebt. Durch diese differenzierte seelische Gesetzmäßigkeit, in der über physisches Leben, Seelenleben und Geistesleben getrennt nachgedacht werden kann, läßt sich ein Urteil bilden. Aus geisteswissenschaftlicher Betrachtung kann das Leben und Werk von Pablo Picasso, einem der bedeutendsten Schöpfer der Moderne, analysiert werden. So ist festzustellen, daß in einem bestimmten Zusammenhang, im Geistigen, Ethischen und Moralischen, Albin Egger-Lienz über Pablo Picasso zu stellen sei. Picassos triebhafte und leidenschaftliche Empfindungsseele, die er mit vitaler und agressiver Kraft, auch in der Kunst, bis ins hohe Alter hemmungslos auslebte stand einer harmonisierenden, höheren Seelen- und Geistesbildung im Wege, welche somit nicht stattfand und wovon seine forcierte Erotik und die trostlose Behandlung seiner Frauen Zeugnis ablegt.

Durch mein künstlerisches und theoretisches Wissen konnte ich manchen Hinweis geben. Den größten Nutzen brachte dies dem Sammler Leopold, ein Umstand der nicht verschwiegen werden darf, weil wesentliche Anregungen immer von Künstlern ausgegangen sind und die Objektivierung kunstgeschichtlicher Vorgänge gewahrt bleiben muß. Meine selbstlose Tätigkeit Leopold gegenüber erstreckte sich auf die Dauer von etwa 40 Jahren. Außerdem war ich aktiv am Ankauf der Sammlung durch den Staat beteiligt. Nach 60-jähriger, mühevoller Arbeit erlaube ich mir einige Bemerkungen über meine Malerei zu machen. Als ich mein Frühwerk in den fünfziger- und sechziger-Jahren schuf, war ich für die Fachwelt ein undiskutabler Fall - als Künstler ein längst Zurückgebliebener. Dadurch mußte ich meine Bilder zu Spottpreisen veräußern. Als ich später den Verkauf stoppte, waren sie plötzlich wertvoll und begehrenswert. Wie zuvor, ist man auch heute in der Beurteilung meiner verschiedenen Schaffensperioden im Irrtum. Zu allen Zeiten habe ich gute Bilder, welche überdauern werden, gemalt. Meine künstlerische Absicht war es, auch die vordergründige formale Monumentalität eines Egger-Lienz in Farbe zu verwandeln. In diesem Zusammenhang wage ich zu behaupten, daß mein Selbstbildnis aus dem Jahre 1956, welches auf der Umschlagseite meiner Monographie von Claus Pack reproduziert ist, jedem Kopf von Egger-Lienz, im Hinblick auf die farbige Substanz, standhält. Mir ist bewußt, daß diese Einstellung heute weder erkannt, noch verstanden werden will. Wenn die Frau Landeshauptmann der Steiermark, Waltraud Klasnic, die Absicht hat meinem 80.Geburtstag, im kommenden Jahr, eine Ausstellung in Graz zu widmen und zu diesem Anlaß die zahlreichen und qualitätvollen Bilder aus der Sammlung Leopold wünscht, welche damit zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen, so wäre dies für mich eine ehrenvolle Würdigung. Auch das Land Kärnten ist an einer repräsentativen Kollektion meiner Werke interessiert, da ich seit dem Jahre 1951 als Wahlkärntner unzählige Bilder in dieser wunderschönen Landschaft gemalt habe.

Karl Stark

Wien, November 2000


In der Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Kunst hat seit dem Kriegsende die naturgebundene Kunstausübung, im Sinne der klassischen Malerei, einen sehr schweren Standpunkt. Es geht praktisch ums Überleben, weil sich durch die Fachwissenschaft eine Tendenz gebildet hat, daß nur die Verfremdung, sei es in Form der Abstraktion, oder anderer unverständlicher Modeerscheinungen, Gültigkeit zu haben scheint. Paul Cézanne hatte in seiner Zeit schon die allergrößten Schwierigkeiten mit den sogenannten Fachexperten und Kunstkritikern, die er allesamt mit dem Begriff "Phrasendrescher" abkanzelte. Die Verstiegenheit in der Kunstauffassung ist ins Grenzenlose gegangen und es gibt kaum eine Verrücktheit die heute nicht bejubelt und für museumsreif erklärt wird. Der Geschäftsbetrieb durch Kunstversteigerungen ist perfektioniert, politischer Einfluß und Management beherrschen hundertprozentig die Szene, eine handvoll Staatskünstler als Hochschulprofessoren, welche in Millionen schwimmen, werden täglich in den Massenmedien propagiert und dem Volke vorgegaukelt, wie es in einem anderen Extrem Hitler schon verstand. Bei diesem Affenzirkus muß man sich ernstlich die Frage stellen: Haben die Kunstakademien überhaupt noch eine Existenzberechtigung? Ist den Kunstverantwortlichen des Staates noch nicht bewußt geworden aus welchen Gründen der international hoch angesehene Maler Arnulf Rainer freiwillig seine Professur an der Akademie der bildenden Künste in Wien aufgegeben hat? Es liegt doch ziemlich klar auf der Hand, daß die Studierenden seiner Meisterklasse nach einigen Jahren seiner Lehrtätigkeit zur Erkenntnis gelangten, hier wird uns ein Zauberlehrling vorgesetzt der den Zeitgeist versteht wie kaum ein zweiter, um aus dem "Nichts" millionenschwere Meisterwerke zu konstruieren. Die Hochschüler haben aber verstanden wie man es bewerkstelligt solche Elemente loszuwerden. Diese Art Kunst hat übrigens der ehemalige Museumsdirektor der Österreichischen Galerie Belvedere, Hofrat Dr.Hans Aurenhammer als "Schmähtandelei" klassifiziert.

Der Sinn, warum doch wieder viele Maler sich zum Naturstudium bekennen, muß heute bewußt erfaßt werden. Die Gegner behaupten immer wieder, diese Art Malerei hat man am Anfang des Jahrhunderts schon besser gemacht. An dieser Stelle muß ich einschreiten und den zeitgenössischen Fachexperten die Frage stellen, die sie bis heute nicht beantworten konnten: Warum sind die Expressionisten wie z.B. Kirchner, Kokoschka und andere nach der Lebensmitte künstlerisch total abgesackt, im Verhältnis zu ihrem grandiosen Frühwerk? Auf diese Ursachen werde ich später noch ausführlich zurückkommen. Soviel sei für heute gesagt: Durch das bewußte Studium der Natur wird in uns jene Fähigkeit entwickelt, gerade diese Impulse neu zu entfachen, welche den Expressionisten verloren gegangen sind und die nun über die Lebensmitte andauern werden. Damit treten wir in der Kunst auf eine neue höhere Stufe, welche der kommenden Malergeneration aufgegeben wird. So gesehen sind die Maler der Gegenständlichkeit, im Sinne Paul Cézannes, die Hoffnungsträger für das neue Jahrhundert.

Karl Stark

Oktober 1999


"Drah' di Rotzbua, sonst kriagst a Watsch'n!" - so stelle ich es mir (etwas drastisch ausgedrückt) vor, wenn ein verhältnismäßig junger Mann in ein Postamt eilt und mit zügigen Schritten an der Reihe der Wartenden vorbei, direkt zum Schalter geht, um ein wichtiges Paket oder einen Expressbrief nach Prag oder Paris abzusenden. - Es könnte Mozart, ein Unsterblicher, gewesen sein.

Da stellt sich doch die Frage, warum können die Verantwortlichen des Staates, die Bürger eines Landes, nie erkennen was ein außerordentlicher Mensch ist? Gehen wir zur Gegenwart über und fassen kleinere Geister ins Auge. Man wird mir einmal die selbstbewußte Feststellung verzeihen, wenn ich ausführe, daß mir schon sehr früh bewußt wurde, einen wichtigen Beitrag in der Weiterentwicklung der Malerei leisten zu können. Es gibt heute wohl kaum jemanden, der meine Arbeit richtig einzuschätzen vermag. Vor etwa 24 Jahren entschloß ich mich aus diesen Gründen eine Schriftenreihe "Beitrag zur kulturellen Erneuerung" der Öffentlichkeit vorzulegen. Meine Schreibweise war mitunter sehr kompromißlos, provozierend, auch verletzend, ein Umstand der mir auch Prozesse einbrachte. Es schien mir aber sehr wichtig, Jahrzehnte hindurch verantwortliche Spitzenpolitiker, Museumsdirektoren, Fachexperten, Kunstkritiker, Galeristen und Kunstsammler über die destruktive Nachkriegskuntspolitik ausführlich zu informieren. Damit wollte ich dokumentieren, daß es unter den Zeitgenossen fast keinen Menschen gibt, der den verhängnisvollen Weg einsehen oder verstehen konnte. Wir befinden uns in einem Zeitabschnitt der Kunst, der eine grundlegende Veränderung zur Folge haben muß, die zur notwendigen Umkehr verpflichtet. Durch die Presse konnte man erfahren, daß eine großangelegte Ausstellung mit Werken von Paul Cézanne in Wien in Vorbereitung ist. In diesem Zusammenhang wird man darauf hinweisen müssen, daß die wichtigste Botschaft Cézannes für die kommenden Malergenerationen in seiner stets wiederholten Aufforderung zu sehen ist:

"Wir haben es hundertmal gesagt und ich komme immer darauf zurück: Der Maler soll sich ganz dem Studium der Natur widmen und versuchen Bilder hervorzubringen, die eine Lehre sein mögen!"
Wenn sich diese Erkenntnis nicht durchsetzen sollte, dann haben wir die Bedeutung seiner Botschaft auch nach hundert Jahren nicht verstanden und alle Wertschätzung wäre umsonst.

In einer späteren Folge soll auf den wesentlichen Zusammenhang vom Naturstudium zur geistigen Welt ausführlich eingegangen werden. Im ablaufenden 20. Jahrhundert wurden durch die mißverstandenen Errungenschaften Cézannes und van Goghs fast ausschließlich Kunstexperimente durchgeführt, eine Entwicklung die letztendlich zur Sinnlosigkeit, zur Auflösung und zum Zusammenbruch der bildenden Kunst unserer Tage führte. Oftmals habe ich anklingen lassen und zu verstehen gegeben, daß mir tiefere Zusammenhänge in der Ausübung der Malerei bewußt wurden, welche auch als Einsicht in die seelisch-geistige Welt verstanden werden darf. Diese Erfahrungen ermöglichen es dem schöpferischen Künstler aus der verworrenen und chaotischen Kunstsituation herauszufinden.

Es liegt in der organischen Menschheitsentwicklung, daß nach einer leidenschaftlichen und triebhaften Seelenverfassung, die zur Amoralität und zum Sexismus der Gesellschaft führen kann, eine verantwortungsvolle, Ich-bewußte Geisteswelt, die den Weg zur Menschlichkeit zeigt, folgt. So habe ich mich immer als positiven Erneuerer in der Kunst empfunden und die Grundsätze eines Cézanne nie verraten. Durch dieses Verhalten wurde ich zeitlebens mißverstanden, ausgegrenzt und von offizieller Stelle gemieden. Es kommt die Zeit, wo man die verborgenen Schätze, die es in großer Anzahl gibt, ans Tageslicht hebt und die für viele eine echte Überraschung darstellen werden. Man muß sich eben gedulden, denn es gehörte stets zur ofterwähnten Kulturgroßmacht Österreichs, daß den besten künstlerischen Kräften des Landes zu Lebzeiten keine Beachtung geschenkt wurde. Trotzdem werde ich, soweit mir die Möglichkeit gegeben ist, Mitteilungen aus der Geistesforschung zur Anschauung bringen und weiterhin für Überraschungen sorgen.

Im Besonderen ist es die Wiener Fachwelt (das hat auch die repräsentative Ausstellung "Hundert Jahre Österreichische Kunst", im Jahre 1997 in Bonn gezeigt) welche bemüht war die zeitgenössische gegenständliche Malerei aus der Welt zu schaffen. Trotzdem wird sich bestätigen, daß mein Werk in Zukunft eine finanzielle Aufwertung erfährt, welche von keinem lebenden Maler im Lande erreicht werden wird. Auch wäre es die vordringliche Aufgabe des Staates Sorge dafür zu tragen, verdienstvollen Malern eine Existenzsicherung zu gewähren. Stattdessen ist er in großzügiger Weise bereit Außenstehende, die keine schöpferische Arbeit leisten, zu fördern.

Karl Stark

Wien, Juli 1999